Argumente gegen die Kürzungen nach der “Rasenmäher-Methode”

Texte aus den Bereichen der Naturwissenschaftlichen Fakultät I, der Agrarwissenschaften und aus dem Orientalischen Institut der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Die strukturelle Krise der Universität lässt sich nur durch das Land lösen. Massenhafte Kürzungen und Fächersterben sind der falsche Weg!

Die Kürzungsdebatte ist zurück – und der Kürzungshammer trifft dieses Mal mehr Professuren, Studiengänge und Institute denn je. Der neue Plan des Rektorats zur zukünftigen Entwicklung der Universität bedeutet große Einschnitte für faktisch alle Studiengänge, den Alltag von Studierenden und darüber hinaus die gesamte Stadt Halle. Einzelnen Studiengängen, wie den Altertumswissenschaften, Indologie, Südasienkunde, Japanologie droht explizit die endgültige Schließung. Insgesamt sollen nach den Vorstellungen des Rektorats langfristig ca. 30 Professuren entfallen. Das bedeutet konkret: Jeder zehnte Lehrstuhl an der MLU steht auf dem Spiel. Nur die Landesregierung kann jetzt noch die Kürzungen verhindern. Dabei ist klar – eine bessere Finanzierung der Universität Halle ist sehr gut investiertes Geld.

Was die Kürzungen für die Studierenden und Mitarbeitenden an der Universität bedeuten würden: Die Qualität von Lehre und Forschung in allen betroffenen Studiengängen an der MLU wird sinken. Weniger Lehrstühle führen zu einer stärkeren Belastung der übrigbleibenden Professuren. Damit bleibt also weniger Zeit für die Studierende und ihre individuelle Anliegen. Auch die thematische Vielfalt der Studiengänge oder Wahlbereiche/Kombinationsbereiche und der Forschung wird darunter leiden, wenn immer weniger Lehrstühle immer mehr Themenbereiche abdecken müssen. Mit der Schließung jedes einzelnen Lehrstuhls sind nicht zuletzt auch die angestellten wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen und Studentischen Hilfskräfte betroffen – sie verlieren ihre Stellen.

Wie der Unialltag und sogar die Stadt Halle betroffen wären: Die Bibliotheken sind mit ihren Arbeitsplätzen für viele Studierende ein integraler Bestandteil des Alltags und wichtig für den Lernerfolg. Doch schon heute sind die Plätze in den Bibliotheken häufig belegt. Diese Situation würde sich noch immens verschlimmern, wenn wie in den Plänen ausgeführt, mehrere Zweigstellen der ULB schließen müssten. Außerdem können bei der aktuellen Finanzierung der Bibliotheken die Öffnungszeiten kaum verlängert werden und auch die Bestellung neuer Bücher gestaltet sich problematisch. Schlussendlich werden die Kürzungen die Stadt Halle selbst fundamental treffen, da langfristig die Studierendenzahl von ca. 21.000 auf etwa 17.000 absinken soll. Dies ist für eine Stadt, die zum Beispiel in ihrem kulturellen Leben so sehr von der Universität und den Studierenden profitiert, eine fatale Entwicklung.

Unter dem Slogan „#moderndenken“ soll sich Sachsen-Anhalt als innovatives und zukunftsfähiges Bundesland präsentieren. Auch die Regierung aus CDU, SPD und FDP hat sich im Koalitionsvertrag vorgenommen: „Wir gestalten Sachsen-Anhalt“. Doch für wissenschaftliche Innovationen braucht es stabile Universitäten, die keine Sorge vor Kürzungen haben müssen und junge Menschen mit neuen Ideen in das Land ziehen. Wenn die Landesregierung Sachsen-Anhalt wirklich zukunftsfähig gestalten möchte, dann führt kein Weg daran vorbei, die Universität in Halle endlich ausreichend zu finanzieren. Vor allem drei zentrale Gründe machen deutlich, warum eine stärkere finanzielle Unterstützung der MLU so lohnenswert ist:

Die Universität steht für große Vielfalt in Forschung und Lehre: Die Universität Halle ist bekannt für ihr großes Fächerangebot, die vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten bei der Wahl der Studiengänge und für einzelne Studiengänge, die nur noch an wenigen Universitäten deutschlandweit angeboten werden. So haben beispielsweise die akut bedrohten Altertumswissenschaften eine lange Tradition in Halle und sind an anderen Universitäten in Deutschland kaum noch zu finden. Die Möglichkeit, fast alle Studiengänge in einem Bachelor miteinander zu kombinieren, ist ebenfalls nicht an vielen Universitäten möglich. All das steht auf dem Spiel, wenn die Kürzungen die MLU wie geplant treffen würden.

Die Universität ist ein großer Wirtschaftsfaktor für das gesamte Land Sachsen-Anhalt: Eine Studie des Instituts für Geowissenschaften aus dem Jahr 2021 macht deutlich, dass die MLU entscheidend für die Wirtschaft in Halle und ganz Sachsen-Anhalt ist. Jeder Euro, den das Land in die Finanzierung der Universität steckt, führt zu einer Umsatzsteigerung für die lokale Wirtschaft von zwei Euro – hier findet also faktisch eine Verdopplung statt. Außerdem leisten Studierende ehrenamtlich Arbeit in Vereinen, politischen Organisationen oder sozialen Initiativen. Jenseits von Studierenden als ökonomischer und sozialer Faktor, zieht der Wissenschaftsstandort Halle auch Unternehmen auf der Suche nach gut ausgebildeten engagierten jungen Menschen an. Eine ausreichende Finanzierung bietet daher einen echten Mehrwert.

Bildung ist immer eine Investition in die Zukunft: In politischen Sonntagsreden ist den meisten Politiker:innen scheinbar bewusst, dass Bildung eine der zentralen Zukunftsinvestionen ist, um junge Menschen mit der Fähigkeit auszustatten, selbstbestimmt ein erfülltes Leben zu gestalten. Doch Absichtserklärungen allein reichen nicht aus – es muss auch entsprechend Geld für gute Bildung in die Hand genommen werden. Dabei geht es nicht um die Frage, welche Studiengänge auf dem Arbeitsmarkt am besten „verwertbar“ sind. Natürlich bedarf es der Naturwissenschaftler:innen für technischen Fortschritt, Lehrer:innen für einen exzellenten Schulunterricht und Jurist:innen für Justiz und Verwaltung. Aber auch alle anderen Studiengänge, egal ob Altertumswissenschaften oder andere, haben die gleiche Berechtigung für eine ausreichende Unterstützung.

Das Engagement gegen die Kürzungen ist nicht allein ein Kampf um einzelne Studiengänge oder Professuren. Durch die Dimension der Rektoratspläne sind wir alle, egal ob Studierende oder Mitarbeitende, grundlegend davon betroffen. Wenn wir uns eine Universität wünschen, an der sich niemand über hochbelastete Lehrstühle, überlastete Bibliotheken – bzw. Bibliotheken ohne Bücher – oder gefährdete Institute Gedanken machen soll, dann müssen wir gemeinsam diese Pläne verhindern.

Dazu gilt es, das „Grobkonzept“ des Rektorates zu verhindern und die Diskussion wieder in die richtige Richtung zu führen.

Welche Lehrstühle sollen weggekürzt werden?

Insgesamt sollen 28 Lehrstühle „kw gesetzt“ werden, was bedeutet, dass sie nach der Emeritierung des/der Lehrstuhlinhabers/in nicht mehr neu besetzt werden sollen. Die Lehrstühle verschwinden also und hinterlassen entsprechende Lücken. In einige Fachbereichen lässt sich auch klar sagen, dass das Fach damit verschwindet. Wir wollen diese an der Stelle aufzählen. KW-Lehrstühle: Theologische Fakultät (Minus zwei Lehrstühle → 2 x evangelische Theologie), Jura/Wirtschaftswissenschaft-Fakultät (Minus vier Lehrstühle → 3 x WiWi, 1 x Jura), Philosophische Fakultät (Minus sechs Lehrstühle → 1 x Japanologie, 1 x Indologie, 1 x Südasienkunde, 1 x Politikwissenschaft, 2 x Altertumswissenschaft), Philosophische Fakultät II (Minus zwei Lehrstühle → 1 x Romanistik, 1 x Slavistik), Philosophische Fakultät III (Minus einen Lehrstuhl → 1 x Reha-Pädagogik), Naturwissenschaftliche Fakultät I (Minus vier Lehrstühle → 1 x Biochemie/Biotechnologie, 1 x Biologie, 2 x Pharmazie), Naturwissenschaftliche Fakultät II (Minus fünf Lehrstühle → 2 x Mathematik, 1 x Physik, 2 x Chemie), Naturwissenschaftliche Fakultät III (Minus vier Lehrstühle → 1 x Geowissenschaft, 2 x Agrarwissenschaft, 1 x Informatik). Insgesamt: 29 Lehrstühle fallen weg. Dazu kommen sechs Lehrstühle, die nach Aussagen des Rektorats bereits jetzt „kw gesetzt“ sind und nicht mehr neu besetzt werden dürfen. Das betrifft zwei Professuren in der Altertumswissenschaft, eine Professur im Bereich Geschichte, eine Amerikanistik-Professur und zwei Lehrstühle im MuK-bereich (Medien und Kommunikationswissenschaften). Mit diese wegfallenden Professuren verliert die MLU in den nächsten Jahren also 35 Lehrstühle. Dazu gehören natürlich nicht nur die Professor:innen, sondern auch die Mitarbeiter:innen. Jetzt schon lässt sich klar sagen, dass einige Studienfächer bzw. Fachbereiche diese Kürzungen nicht überleben können. Dazu gehören sicher die Altertumswissenschaften, die Japanologie, die Indologie und die Südasienkunde. Sollte das Konzept so angenommen werden, könnten diese Fächer in ganz Sachsen-Anhalt nicht mehr studiert werden. Aber auch andere Fachbereiche werden ins Straucheln kommen und auf eine mehr als ungewisse Zukunft zusteuern.

Hier folgt eine Gegendarstellung zu den einzelnen Kürzungsvorschlägen des Grobkonzepts:

Agrarwissenschaften:

Universitäre Agrarwissenschaften gibt es im Mitteldeutschen Raum (Sachen, Sachsen-Anhalt, Thüringen) nur in Halle. Der Bereich befindet sich am Rande der kritischen Masse. Weitere Kürzungen können diese unterschreiten. Die vorgeschlagene Fokussierung auf Pflanzenwissenschaften hat den Hintergrund, dass durch die Struktur selbst und die Struktur der außeruniversitären Verflechtungen eine Stärke besteht. Allerdings sollte nicht vergessen werden, dass die Tierwissenschaften einst von der Universität Leipzig übernommen wurden. Leipzig hat also zugunsten von Halle seine Einrichtung geschlossen. Die Forderung nach stärkeren Kooperationen zur Hochschule Anhalt ist nachvollziehbar. Die Gründe, warum diese nicht im gewünschten Umfang stattgefunden haben, kann hier nicht beurteilt werden.

Professur Landtechnik / Agrartechnik

Die Professur gibt es seit 155 Jahren. Bis 2010 war sie fast durchgängig besetzt. Im Jahr 1990 umfasste das Gebiet „Technik und Technologie“ ca. 60 Personen.

Heute ist die Professur seit 12 Jahren nicht mehr besetzt. In den nächsten Wochen geht der letzte Wissenschaftliche Mitarbeiter in den Ruhestand. Bis zum Jahr 2022 haben die Beschäftigten zumindest in der Lehre (Pflicht- und Wahlpflichtfächer) den Stellenabbau und die Nicht-Berufung kompensiert. Darüber hinaus gab es einen Lehrexport an die Hochschule Anhalt (bei Direkt- und Fernstudierenden). Im Jahr 2024 wird es auch keinen technischen Mitarbeiter mehr geben. Die Erklärung im Papier des Rektorates „da die Universität keine technische Fakultät hat, wird auf eine Professur mit Forschungsausrichtung im Bereich der Landtechnik künftig verzichtet“ ist fachlicher Blödsinn. Der letzte Stelleninhaber plante und konzipierte einen gemeinsamen Studiengang mit der Hochschule Merseburg. Eine technische Fakultät war auch dafür nicht erforderlich. Die Hochschule Anhalt hat im Jahr 2021 ein Professor für „Digitale Technologien in der Pflanzenproduktion“ berufen. Die Hochschule schrieb hierzu: „Für die Studierenden bedeutet das, dass Themen rund um Digitalisierung, Sensorik, Datenanalyse und Robotik auch im Landwirtschaftsstudium an Stellenwert gewinnen. Professor Knauer sieht in der Vermittlung der Inhalte auch eine Herausforderung: „Die Studierenden müssen diese neuen Technologien vor allem sicher anwenden und ihre Potenziale bewerten lernen.“

Im November 2021 hat der Fakultätsrat der Naturwissenschaftlichen Fakultät III eine Umbenennung der Professur für Landtechnik beschlossen („Pecision Phenotyping“ W2). Wegen der Kürzungsdebatte wurde dies bisher nicht an die Universitätsleitung weiter gegeben. Dabei wären hier einige Schlagworte zu nennen: Sensorik, Robotik, eingebettete Systeme, Präzisionsforschung, systemische Betrachtung der Wechselwirkungen Pflanze, Tier und Umwelt, biologische Informationsverarbeitung, Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Automatisierung. Hierzu gäbe es auch Synergien zur an der Universität vorhandenen Informatik. Insgesamt ist ein Ende der genannten Lehrstühle also nicht nur nicht im Interesse von Bildung und Forschung, sondern würde den begonnenen Prozess auch unmittelbar abbrechen und gemachte Fortschritte negieren.

Philosophische Fakultät I:

Kritische Anmerkungen zu der Gesamtheit der kleinen Fächer:

Zu Quantitäten:

Das Grobkonzept sieht eine willkürliche Kennzahl von 15 Studierenden im BA und MA-Bereich vor:

Erfüllt ein Studiengang über drei Jahre nicht die vereinbarten Voraussetzungen, ist in den Akademischen Gremien über seine Schließung gem. § 67 Abs. 3 Ziff. 4 und § 9 des Hochschulgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt (HSG LSA) zu befinden. In begründeten Fällen kann auf die Schließung verzichtet werden.“

Dies ist konsequent auf die Kleinen Fächer (die per definitionem weniger Studierende aufweisen) anzuwenden und dies auch – wie im Übrigen bisher – gegenüber dem Ministerium zu vertreten! Im Studiengang „Alte Welt“ würde eine Auslastung von 15 pro Jahr bspw. dazu führen, dass, da die Studierenden entweder mit Griechisch oder Sanskrit als Importmodulen im zweijährigen Rhythmus anfangen, die Abteilungen Indologie und Gräzistik für diese 2×15 Studierende einen eigenen Kurs zusätzlich zu den für ihre eigenen Studiengänge anbieten müssen, da Übungen mit der Kennzahl von max. 30 durchgeführt werden sollen – für einen Parallelkurs für die Studierenden der „Alten Welt“ gibt es aber keine Kapazitäten. Insofern sind 15 Erstis im Studiengang „Alte Welt“ nicht zu vertreten.

Darüber hinaus werden alle quantitativen Vergleiche unter der Annahme vorgenommen, dass alle Abteilungen über dieselbe Personalausstattung verfügen. Bei der Relation von Professur/Studierendenanzahl kommen die Kleinen Fächer auf eine ungünstige Zahl, nicht jedoch, wenn man die Anzahl aller Lehrenden in eben diesem Bereich ins Verhältnis zu den Studierenden setzt und dabei auch die mit zu betreuenden und zu prüfenden Importstudierende hinzurechnet.

Das Quantitätskriterium wird dann umgekehrt und zu Ungunsten der Kleinen Fächer ausgelegt:

Studiengänge

Die Analysen zeigen als weiteres, dass eine umfassende Diskussion zu Studiengängen und Teilstudiengängen notwendig ist, die von keiner, nur von einer oder zwei Professuren getragen werden. Zum einen fehlt hier ein kritischer kollegialer Austausch in Bezug auf die Studiengangs- und Prüfungsorganisation und den damit verbundenen Herausforderungen. Zum anderen aber ist bei Ausfall aufgrund von Krankheit, Forschungsfreisemester, Wegberufung etc. die Fortsetzung bzw. Kompensation der Lehre gefährdet. Den Studierenden gegenüber muss gewährleistet werden, dass sie ihr Studium auch in diesen Fällen verzögerungsfrei fortsetzen können.“

Es ist an keiner Stelle belegt, dass insbesondere in den Kleinen Fächern ein höherer Krankenstand herrscht, geschweige denn, dass in den sogenannten „Großen“ Fächern Unterricht konsequent vertreten wird! Zudem sind Lehrende in den Kleinen Fächern Generalist:innen, die die gesamte Bandbreite des Faches unterrichten können und nicht nur ein Spezialgebiet. Wegberufungen und Vakanzen sind ein Problem aller Fächer, nicht nur der Kleinen, wobei hier Studiengangspläne leichter individuell abgestimmt werden können. Darüber hinaus hat man zwar weniger Kolleg:innen innerhalb des Faches, über Import- und Exportmodule aber ungleich mehr Austausch zwischen den einzelnen Disziplinen (was nicht nur der Lehre, sondern auch der Forschung zu Gute kommt), die Studierenden werden entsprechend auch von unterschiedlichen Lehrenden geprüft und der Prüfungsausschuss ist je nach Fach ebenso interdisziplinär besetzt.

Tendenziell sind die Studiengänge in den geisteswissenschaftlich Lehreinheiten kleinteiliger als in den sozial- bzw. naturwissenschaftlichen Bereichen. Hier haben wir eine große Zahl an Studiengängen und vor allem Teilstudiengängen mit sehr wenigen Studierenden. Aus der Perspektive von Studierenden bedeutet dies, dass sie sich kaum mit Kommiliton:innen desselben (Teil-)Studiengangs austauschen und gegenseitig unterstützten können. […] Es muss daher überprüft werden, ob dies Folgen für Studiendauer und Studienabbrüche hat. Aus der Perspektive der Studienorganisation führt dies zu erhöhtem Aufwand bei der Studienberatung und der Koordination der (Teil-)Studiengänge.“

Das Gegenteil ist richtig: Durch kleinere Studierendengruppen ist der Austausch und Zusammenhalt besonders groß, die Studierenden kennen sich und begegnen auch häufiger Kommiliton:innen aus höheren Semestern in gemischten Lehrveranstaltungen, an denen sie sich orientieren können oder Tipps erhalten; und auch der Kontakt zu den Lehrenden ist deutlich intensiver und die Studienberatung erfolgt entsprechend kleinteilig und ohne lange Wartelisten vor den Sprechstunden. Dass dies eine Belastung für die Lehrenden und Koordinatoren sei, ist eine bloße Behauptung, die nicht durch Studien gestützt wird.

Zwar werden Module häufig für mehrere (Teil-)Studiengänge angeboten, so dass dieser Austausch auf Modulebene, jedoch nicht vor dem Hintergrund eines (Teil-)Studiengangs stattfindet.“

Das Konzept nennt sich inter- und transdisziplinäre Lehre. Angeblich ist das ja das, was von der Unileitung explizit gewünscht wird. Zudem erweitert es den eigenen Horizont und den der Disziplin, Probleme aus dem Blickwinkel der Nachbarfächer und unter Hinzuziehung anderer Methoden zu durchdringen.

Bei der Betreuungsintensivität spielen die Kleinen Fächer dann wiederum keine Rolle, wobei (auch hier wieder am Beispiel „Alte Welt“, ebenso könnte man aber auch den „Christlichen Orient“ oder ähnliche philologische Fächer erwähnen) Studierende innerhalb eines oder zwei Semester in die Lage versetzt werden sollen, originalsprachliche Quellen mit Hilfe der gängigen Hilfsmittel Grammatiken und Wörterbücher selbständig zu erschließen. Das setzt intensive Betreuung in Kleingruppen im Unterricht und in den Phasen der Vor- und Nachbereitung voraus. Sprachen, die die Studierenden nicht schon aus der Schule mitbringen, bedeuten ein ganz anderes Arbeitspensum und Betreuungsverhältnis.

Darüber hinaus müssen aber auch Studiengangsbesonderheiten in verschiedenen Fächern vor dem Hintergrund ihrer Auslastung berücksichtigt werden, die einen sehr hohen Betreuungsaufwand aufweisen, der nicht hinreichend durch die Systematik der Kapazitätsberechnung berücksichtigt wird. Dies trifft bspw. auf Studiengänge mit einer intensiven Betreuung der Studierenden während der Laborpraktika, Teamprojekten, mehrtätige Exkursionen und Grabungen zu, wie aber auch auf Studiengänge, in denen nur im Einzel- oder Kleingruppenunterricht spezielle Fähigkeiten ausgebildet werden können wie bspw. in musischen Fächern Klavier, Gesang oder Gitarre oder aber in den Sprechwissenschaften sowie die schulpraktischen Übungen in den Lehramtsfächern.“

Die Kleinen Fächer gehören definitiv mit in diese Reihe.

Zur Qualität:

Aus den Leitlinien:

Die MLU des Jahres 2030 ist eine in der Stadt Halle und der mitteldeutschen Region verwurzelte Universität, deren Anspruch in Lehre und Forschung europäisch und international geprägt ist.“

Mit der Schließung der Japanologie, Südasienkunde und Indologie verschwindet Halle aus der Landkarte der Forschungen zum ost- und südasiatischen Raum, d.h. weiterhin: Forschende, die sich in anderen (sozialwissenschaftlichen, politischen, ethnologischen oder ökologischen) Kontexten mit diesem Raum beschäftigen wollen, finden in Halle damit keine Ansprechpartner mehr, die mit originalsprachlichen Quellen umgehen können bzw. dies Interessierten (eben in den entsprechenden Studiengängen) auch beibringen. Auch die bisherigen Kooperationen mit Leipzig/Jena findet dann unter Ausschluss von Halle statt bzw. reißt auch unabsehbare Lücken im Universitätsverbund, denn ein Verbund funktioniert grundsätzlich nur, wenn jeder seinen (komplementärem) Beitrag leistet. Bspw. wurde die Indologie in Leipzig mit Hinblick auf Halle so besetzt, dass der Schwerpunkt auf Buddhismusforschung, entsprechenden Texten, Sprachstufen sowie religionswissenschaftlichen und und philologischen Aspekten liegt. Eine Professur für Südasienkunde oder Klassisches und Vedisches Sankskrit wie in Halle gibt es nicht. In Jena gibt es überhaupt keine Indologie in jeglicher Form. Von Vermeidung von Doppelstrukturen kann also keine Rede sein, sondern das Rektorat möchte offenbar die angestrebte Komplementarität verhindern. N.B. auch die Altertumswissenschaften wurden in Leipzig mit Hinblick auf das Angebot an der MLU reduziert. Wenn also auch Halle die Altertumswissenschaften abschafft, dann gibt es weder in Sachsen, noch in Sachsen-Anhalt ein entsprechendes Angebot.

Die Aussage „Auf die so genannten Kleinen Fächer bezogen ist sicherzustellen, dass Mehrfachangebote im Universitätsbund Leipzig-Jena-Halle möglichst vermieden werden. Dazu bedarf es einer engen Abstimmung der drei Universitäten.“ ist zumindest in Bezug auf die zu streichenden Fächer sachlich nicht richtig.

Zudem wünscht das Rektorat „Profillinien in Lehre und Forschung, in denen sie internationale wissenschaftliche Sichtbarkeit besitzt“ – die internationale Sichtbarkeit hat sich insbesondere hinsichtlich der Kleinen Fächer durch die Protestschreiben/online-Petition durch nationale und internationale Kolleg:innen gezeigt; die Unileitung ignoriert das jedoch ebenso konsequent, wenn sie auch zugeben muss: „In den Geistes- und Sozialwissenschaften sind in Bezug auf die Drittmittelstärke u.a. die Ethnologie und die Orientwissenschaften herauszuheben“, dabei hat insbesondere die Indologie einen wesentlichen Anteil und damit wird das Streichkriterium nochmals ad absurdum geführt.

Hinsichtlich der Lehre ist der MLU wichtig: „Für viele der Studiengänge ist Inter- und Transdisziplinarität ein wichtiger Aspekt. Das betrifft sowohl die Studiengänge mit langer Tradition als auch relativ neue interdisziplinäre Studiengänge.“ – Verbundstudiengänge existieren im Bereich Altertumswissenschaften und am Orientalischen Institut, erwähnt werden aber nur die Nahoststudien. Fertige Studiengangspläne, die – auch auf Grund der Strukturdiskussion – z.T. noch nicht implementiert werden konnten, wurden aber auch zu den neu konzipierten Verbundstudiengängen in den Altertumswissenschaften und am Orientalischen Institut auf BA, MA und Doktorandenebene vorgelegt, wobei auch diese Daten, die an die entsprechenden Kommissionen ja weitergeleitet wurden, wurden wiederum durch die Unileitung in der Darstellung ignoriert.

Interessant ist, dass hier Interdisziplinarität als positives Kriterium auftaucht, bei den quantitativen Aspekten und den polyvalenten Modulen den Kleinen Fächern aber erst mal als Malum angerechnet wird.

Für die Martin-Luther-Universität ist die Einheit von Forschung und Lehre ein zentraler Grundsatz.“, wenn das Rektorat auch feststellen muss: „An der MLU wird im Schnitt unterdurchschnittlich promoviert und habilitiert.“

Gerade das Orientalische Institut ist im Hinblick auf Promotionen und Habilitationen überdurchschnittlich gut aufgestellt, insbesondere in Relation zu den Studierendenzahlen.

Die aufgenommene Stellungnahme des Wissenschaftsrates bekennt sich hingegen zu den Kleinen Fächern an der MLU mit der Einschränkung, die für alle Fächer gilt: „Die Ressourcen sollten so gebündelt werden, dass in allen Fächergruppen einzelne forschungsintensive Bereiche von zumindest nationaler Sichtbarkeit entwickelt werden können.“  in den Kleinen Fächern (lt. Drittmitteleinwerbungen) ist das mehr als erreicht.

Die Aussage „Der Wissenschaftsrat begrüßt, dass die Kleinen Fächern im Selbstverständnis der Universität eine wichtige Rolle spielen. Die einzelnen Fächer in ihrer inhaltlich-methodischen Kontextualisierung dagegen hat die Universität bislang kaum zum Gegenstand ihrer Profilierungsbemühungen gemacht.“ geht darüber hinaus und kritisiert explizit die Strategie bzw. fehlende Strategie der MLU, dieses Alleinstellungsmerkmal zu fördern. Auch in der derzeitigen Strukturdebatte werden bspw. Initiativen zu inter- und transdisziplinären Studiengängen unter den Tisch gekehrt, Lehrstühle wurden in den letzten 10 Jahren bewusst jahrelang vakant gehalten und die Bereiche dadurch zusätzlich geschwächt und ihr Anteil am Drittmittelaufkommen und den Qualifikationsarbeiten in der Konsequenz nicht hinreichend gewürdigt. Vor allem verkennt die Leitung der MLU, dass Kleine Fächer das Kriterium für eine Universität im Gegensatz zu einer Fachhochschule sind.

Der Wissenschaftsrat empfiehlt eine Konzentration des Portfolios an Kleinen Fächern im Zusammenhang mit einer weiteren Profilierung der Geisteswissenschaften und in enger Absprache mit den Partneruniversitäten im Hochschulverbund Halle-Jena-Leipzig.“ – Für eine fachliche Beurteilung von Doppelangebot oder Komplementarität sollten die Fachvertreter an den Universitäten und ggf. auswertige Experten gehört werden.

Allgemeines:

Generell fällt den Kleinen Fächern folgender Passus auf die Füße:

Auch Forschung ist in gewisser Weise relativ, auch sie kann nicht umfassend isoliert als Einzelforschung betrachtet werden, sondern sollte sich zwar nicht ausschließlich, aber doch weitgehend in Forschungsfelder einfügen, entweder als Verbundforschung oder als in einem Forschungskontext der Universität erfolgende Einzelforschung.“ (wenn auch später einschränkend im Fortgang formuliert wird: „Die Forschungslandschaft an der MLU ist sehr heterogen – geprägt von einem Spektrum zwischen starker Einzelforschung und starker Verbundforschung, zwischen Drittmittelforschung und Forschung in Verbünden ohne Ausweis eingeworbener Personalmittel.“)

Es handelt sich hier um eine völlig falsche Vorstellung von Forschung, die angeblich nur in großen Verbünden, die natürlich mehr Drittmittel einbringen, gut bzw. exzellent sein kann. Insbesondere Einzelforschung und deren Leistung wird nicht angemessen gewürdigt – und das trifft insbesondere negativ die Buchwissenschaften und speziell die Kleinen Fächer, obwohl diese international vernetzt und im relativen Vergleich drittmittelstark sind – einseitig gegenüber den Naturwissenschaften und der einseitigen Ausrichtung auf Forschungsverbünde.

Aber selbst hier ergeben sich Widersprüche in der Darstellung des Rektorats: Während Arabistik/Islamwissenschaft, Judaistik/Jüdische Studien und Christlicher Orient als wichtig für den Schwerpunkt GKB angesehen werden, bleiben Indologie, Südasienkunde und Japanologie unerwähnt. Wie kann man ernsthaft glauben, dass Diskussionen zu gesellschaftlichen globalen Transformationen ohne den ost- und südasiatischen Raum sinnvoll geführt werden können?

Absolut nicht nachhaltig und definitiv zum Nachteil der Kleinen Fächer (und finanzpolitischer Unfug) ist die Initiative, bereits im April 2022 Studiengänge zu schließen, ohne zu berücksichtigen, wann die entsprechenden Lehrenden ausscheiden und wie lange Studiengänge damit ohnehin noch zu betrieben werden können. Wenn man um Kürzungen trotz aller Proteste nicht herum kommt, dann sollte man zunächst wirklich eine Verdichtung der Studiengänge in Angriff nehmen im Sinne eines interdisziplinären Angebots, das von den Betroffenen weiter auszubauen ist.

Kann man durch die angegebenen Kürzungen in den Kleinen Fächern sinnvoll begründet sparen?

Nein, aus verschiedenen Gründen:

Am Institut für Altertumswissenschaften sollen die Professuren für Gräzistik und Orientarchäologie „kw“ gesetzt werden – ob weitere interne Umstrukturierungen sinnvoll sind, sei dahingestellt. Griechisch ist wie Latein Lehramtsfach und die Streichung eines Lehramtsstudienganges bedarf der besonderen Zustimmung des Ministeriums. Auch Altsprachliche Gymnasien könnten damit ihren Bedarf an Griechisch-Lehrern nicht mehr aus Sachsen-Anhalt decken. Zudem besteht nach wie vor die Pflicht für angehende Lateinlehrer, Griechischkenntnisse nachzuweisen und ein Studium der lateinischen Literatur ist ohne die griechischen Vorbilder auch weder denkbar noch sinnvoll.

Darüber hinaus hat Leipzig – gerade im Hinblick auf das breite Hallenser Angebot im Bereich Altertumswissenschaften – seine eigenen Strukturen reduziert – eine Vorderasiatische oder Orientarchäologie existiert nicht. Im mitteldeutschen Raum gibt es also keine vergleichbare Kombination von Altertumswissenschaften und speziellen Formen der Archäologien wie vorderasiatische oder mittelalterliche und damit auch kein Doppelangebot im Universitätsverbund.

In Bezug auf das Orientalische Institut stellt die Grobskizze richtig fest:

Das orientalische Institut gehört insgesamt betrachtet zu den forschungsstarken Einheiten der Universität, auch wenn die Forschungsstärke im Hinblick auf die dort vertretenen Professuren variiert. In der inhaltlichen Ausrichtung haben insbesondere die Professuren für Arabistik und Islamwissenschaften, Judaistik und Christlicher Orient große Potential einer Stärkung des Forschungsschwerpunktes GKB bzw. tragen jetzt schon hierzu bei.“

Warum hier Indologie, Südasienkunde und Japanologie und damit der gesamte ost- und südasiatische Raum bewusst ausgelassen und für GKB als unwichtig erklärt wird – zumal insbesondere die Japanologie und die Südasienkunde ihren Schwerpunkt auf Politik, Gesellschaft und Wirtschaft haben, bleibt ohne Begründung – sachlich ist dies jedenfalls auch nicht zu begründen, sondern nur damit, dass man die Professuren aus Gründen der momentanen Vakanz einsparen will.

Mit der Konzentration in der Lehre auf Nahoststudien ist ein überzeugender Weg eingeschlagen. Dieser muss umfassend im Sinne einer ausschließlichen Fokussierung weiter beschritten werden.“

Die ebenso vorliegenden Studiengangspläne zu weiteren Verbundstudiengängen am Orientalischen Institut (BA, MA und Promotion) werden unerwähnt und in ihrer Idee und Struktur unevaluiert gelassen, obwohl auch diese im Universitätsverbund ein Alleinstellungsmerkmal darstellen würden – entsprechende Darlegungen und Begründungen waren der Kommission für Studium und Lehre zugegangen, finden sich aber nicht in der Grobskizze bzw. wurden für diese unter den Tisch gekehrt.

Dabei ist auch zu beachten, dass es auf einige Professuren des Instituts bezogen sehr weitreichende Überschneidungen mit entsprechenden Angeboten an den Standorten Leipzig und Jena gibt. Das spricht für eine deutliche Konzentration am Standort Halle und damit eine kw-Setzung von drei Professuren, und zwar konkret in den Bereichen Japanologie, Indologie und Südasienkunde.“

Das Argument der inhaltlichen Überschneidung ist sachlich nicht richtig. Zwar gibt es Überschneidungen im Sprachunterricht, man muss eben Japanisch oder Sanskrit oder eine moderne indische Sprache lernen (wobei Halle im Gegensatz zu Leipzig hier den Schwerpunkt auf Bengali unter dem emeritierten Professor hatte), jedoch ist die inhaltliche Spezialisierung, den Schwerpunkt, mit dem man sich unter Anwendung der Sprachkenntnisse im Studium auseinandersetzt komplementär. So wurde eben erst kürzlich in Leipzig der indologische Schwerpunkt Buddhismus besetzt, weil dieser eine Ergänzung bzw. ein zeitliches Mittelstück zur Hallenser modernen Südasienkunde und der Indologie mit Ausrichtung Klassisches und Vedisches Sanskrit darstellt. Einfach ohne Sachkenntnis vom Namen einer Disziplin über deren inhaltliche Ausrichtung zu urteilen – notfalls eben unter Hinzuziehung auswärtiger Experten oder in Absprache der betroffenen Universitäten bzw. deren Fachvertreter – ist einer Universität unwürdig!

Generell fehlt in dem Papier eine Bezugnahme auf eine strategische Planung der Hochschullandschaft in Sachsen-Anhalt, die durchaus vom Ministerium eingefordert werden könnte bzw. hätte eingefordert werden müssen. Welche Stellung soll die Universität mit ihren Fächern innerhalb des Bundeslandes haben und was ist an den einzelnen Hochschulen damit zu finanzieren. Gerade hinsichtlich der Kleinen Fächer kann man am Beispiel Leipzig zeigen, dass der Universitätsverbund als „Verschiebebahnhof“ für finanzielle Verpflichtungen zwischen den Bundesländern benutzt wurde und auch von unserem Rektorat benutzt wird.

Argumente gegen die Streichung des Studienganges Südasienkunde

  • Zukunftsorientiertes Fach, das sich vorrangig mit den modernen und neuzeitlichen Sprachen und Gegebenheiten Südasiens beschäftigt und den Studierenden die Fokussierung auf die auch für Deutschland und Europa immer relevanter werdenden aktuellen Entwicklungen der Region ermöglicht
  • die neue Außenpolitik der Bundesregierung mit den neu formulierten Indo-Pazifik-Leitlinien, durch welche der zunehmenden Bedeutung des indo-pazifischen Raums Rechnung gezollt wird, unterstreicht die Relevanz unseres Studiengangs
  • Die Südasienkunde an der MLU kommt der daraus folgenden Notwendigkeit an spezialisierten Fachkräften mit einem für den internationalen Austausch geschärften Blick und einem tieferen Einblick und Verständnis der Sprachen, Kulturen, Politik und Realitäten der Region Südasiens in allen Punkten nach
  • Für die Erschließung des Zukunftsmarkts Südasien ist fundierte wissenschaftliche Forschung auf diesem Gebiet notwendig
  • Mit der schrittweisen Abschaffung des Studiengangs Südasienkunde verbaut sich die MLU die Möglichkeit, daran teilzuhaben und beschädigt ihre nationale und internationale Reputation nachhaltig
  • Als einzige Hochschulstadt Sachsen-Anhalts für Geisteswissenschaften und ebenso als einzige Ostdeutschlands, an welcher Bengalisch gelehrt wird, verfügt die MLU noch über einen erheblichen Standortvorteil sowie hohes Renommee. Durch eine schrittweise Reduzierung und Beschneidung der Studiengänge wird dem Ansehen der MLU auch in den Augen der Studierenden erheblicher Schaden zugefügt

Argumente für den Erhalt der Fächer Indologie und Südasienstudien an der MLU Halle

Dr. Johanna Buß, Vertretungsprofessorin für Südasienkunde an der MLU Halle im SoSe 2021 

PD Dr. Philipp Maas, Vertretungsprofessor für Indologie an der MLU Halle im WiSe 2021/22

In Asien und insbesondere Südasien befinden sich die am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt. Daher ist diese Region von hoher strategischer Bedeutung für die Bundesrepublik und die EU, die vielfältige intensive multilaterale Kooperationen mit den verschiedenen Ländern Südasiens pflegen. Diese Länder sind unter anderem Schauplätze von auf Europa zurückwirkenden Konflikten (Taliban, Islamismus). Das große Interesse Deutschlands an Südasien wird beispielsweise durch die Leitlinien der Bundesregierung zum indo-pazifischen Pakt (2020) dokumentiert. Außerdem lebt in Südasien bekanntlich ein Fünftel der heutigen Weltbevölkerung; die indoeuropäische Sprache Hindi, die in Halle unterrichtet wird, ist nach Chinesisch und Englisch die weltweit drittgrößte Sprache. Die südasiatische Bevölkerung gehört zu großen Teilen den drei Weltreligionen Hinduismus, Islam und Buddhismus an. Diese Religionen gewinnen auch in Europa seit dem letzten Jahrhundert zunehmend Anhänger und ihr kultureller Einfluss ist längst Teil der globalisierten westlichen Gesellschaften, sei es in Form von Yoga-Kursen und Ayurveda-Kuren oder auch in der Filmindustrie und Pop-Kultur. Der Umgang mit dieser Entwicklung erfordert fundiertes kulturwissenschaftliches und philologisch-historisches Wissen. Es ist daher unstrittig, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Südasien auf der Grundlage originalsprachlicher Quellen zu den zentralen Aufgaben universitärer Lehre und Forschung zählt, will man die Selbstprovinzialisierung der MLU Halle vermeiden. Außerdem zeigt das Beispiel Indologie, dass sogenannte „Kleine Fächer“ im Einwerben von Drittmitteln sehr erfolgreich sein können und der Universität auch finanziell erheblich nutzen. Aus sachlich nicht zu rechtfertigenden Gründen steht diesem klaren Befund eine unzureichende Repräsentation der Fächer Indologie und Südasienstudien an deutschen Universitäten entgegen. Das Fach Indologie, das den gesamte Kulturraum Südasiens in all seinen kulturellen, religiösen und historischen Dimensionen über einen Zeitraum von rund 3000 Jahren auf der Grundlage originalsprachlicher Quellen in alt- und mittelindischen Sprachen erforscht, ist in Deutschland mit nur fünf Professuren vertreten. Die Lehrstuhlinhaberinnen und – inhaber arbeiten zu ihren jeweils eng umrissenen Spezialgebieten. Die Südasienstudien, deren Gebiet Sprachen, Geschichte, Kulturen und Religionen Südasiens der letzten sechshundert Jahre sind, werden derzeit überwiegend mit einem gegenwartsbezogenen gesellschaftspolitischen bzw. kulturwissenschaftlichen Fokus beforscht und gelehrt und sind in ganz Deutschland nur von drei Professuren vertreten. Indologie und Südasienstudien können in Deutschland schon jetzt die Inhalte ihrer Fächer nicht in größerer Breite bearbeiten. Weitere Einschnitte sind für die Fächer eine existentielle Gefahr und angesichts der stetig wachsenden Bedeutung der Region gesellschaftspolitisch verantwortungslos. Die Abschaffung der beiden Lehrstühle an der LMU Halle würde darüber hinaus den Wissenschaftsstandort Mitteldeutschland empfindlich schwächen, da die Indologie in Leipzig mit der Ausrichtung Buddhismuskunde vertreten ist und es an der Uni Leipzig keine Professur für Südasienstudien gibt. Statt einer Abschaffung, durch die u.a. der Bestand von 150.000 südasienbezogenen Medien der ULB Halle zukünftig ungenutzt bliebe, bietet sich die einzigartige Chance, das Profil der MLU Halle in Richtung Südasien zu schärfen. In Kooperation mit der Universität Leipzig ist ein auch im europäischen Raum einzigartige Verbund südasienbezogener Lehre und Forschung ohne finanzielle Mehrbelastung der MLU realisierbar, da einzig die Neubesetzung der Lehrstühle für Indologie und Südasienstudien an der mit einer zu Leipzig komplementären fachlichen Ausrichtung umzusetzen ist. Die an der MLU Halle anzustrebende Ausrichtung der Indologie auf nicht-buddhistische Traditionen ist eine notwendige Ergänzung zu der buddhismuskundlichen Ausrichtung des Faches in Leipzig. Die Professur für Südasienstudien, die in Leipzig nicht vertreten ist, führt im Verbund mit den indologischen Professuren in Halle und Leipzig zu einer in Europa einmaligen thematischen Breite und Tiefe in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der südasiatischen Kultur- und Geistesgeschichte von der frühesten Zeit bis in die Gegenwart. Der mitteldeutsche Südasienfokus in Forschung und Lehre wird durch sein breites Angebot für Bachelor-, Master- und Promotionsstudierende aus ganz Deutschland und dem Ausland attraktiv sein und sich in hervorragender Weise als Standort für ERC- und DFG-geförderte Drittmitteprojekte anbieten. Der vom Orientalischen Institut entworfene Studiengang Indologie/ Südasienstudien/Indogermanistik sieht eine zum Leipziger Sprachprofil (Hindi) komplementäre Schwerpunktsetzung in anderen, wichtigen modernen südasiatischen Sprachen (Urdu, Bengali) vor, mit einem Fokus auf den südasiatischen Islam. Die in Südasien beheimateten Muslime bilden mit ca. 500 Millionen Menschen ein Drittel der muslimischen Weltbevölkerung. Diese Fokussierung, ein Desiderat in Deutschland, wäre ein Alleinstellungsmerkmal der MLU. Durch die Einbettung von Indologie und Südasienstudien in das Orientalische Institut sind vielfältige beidseitige Anknüpfungsmöglichkeiten gegeben, beispielsweise gemeinsame islamwissenschaftliche Veranstaltungen, Überblicksveranstaltungen über die Großregion Asien und die Beteiligung an einem gemeinsamen Master-Studiengang des OIs. Aus dem Verbund der Indologie und Südasienkunde mit der Indologie an der Universität Leipzig ergeben sich vielfältige Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit dem Landesforschungsschwerpunkt und der Graduiertenschule „Gesellschaft und Kultur in Bewegung“, dem Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung, dem Landesforschungsschwerpunkt „Aufklärung, Religion, Wissen“ und den Franckeschen Stiftungen in Halle sowie mit weiteren Fächern und Forschungsverbünden in Halle, Leipzig, Jena und Erfurt, wie beispielsweise Islamwissenschaft, Judaistik, Wissenschaft vom Christlichen Orient, Tibetologie, Religionswissenschaft, Ethnologie und Politikwissenschaft oder dem Max Weber-Kolleg in Erfurt. Alle genannten Einrichtungen und Institutionen sind für ihre Forschung und Lehre auf die Einbeziehung außereuropäischer Perspektiven und Quellen angewiesen, sofern sich die Qualität ihrer Arbeit an internationalen Standards orientiert. In Anbetracht des hier skizzierten erheblichen Potentials der beiden Fächer Indologie und Südasienstudien für die zukünftige Entwicklung der MLU Halle und den mitteldeutschen Hochschulraum sowie vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Relevanz der beiden Fächer Indologie und Südasienstudien ist ihr Erhalt im Kontext der Profilschärfung der MLU Halle erforderlich.

Kritik der Auffassung von „Profilierung“ im Entwurf „Martin-Luther-Universität 2030“

Zum Argumentationsprofil des Entwurfs „Martin-Luther-Universität 2030 – Fortschreibung und Aktualisierung des Hochschulentwicklungsplanes der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 2014“ (MLU 2030)

Das vorliegende Konzept greift als zentralen Begriffe die zunächst sowohl alltagssprachlich als auch in Bezug auf Forschungseinrichtungen (z.B. Exzellenzinitiativen auf Landes- und Bundesebene) positiv zu verstehenden Wörter „Profilierung“ (10x, auch in Zusammensetzungen) bzw. „Profilschärfung“ (17x) auf, allerdings in das Gegenteil gewendet nur im Kontext von Abschaffung von Fächern, Studienprogrammen und Abbau von Stellen bis hin zur Reduzierung von Studienplätzen. Darüber hinaus dienen sie zur Verschleierung der Begriffe „Sprachmaßnahmen“ und „Kürzungen“, wobei auch das wiederum nur euphemistische Begriffe für einen „Kahlschlag“ an der MLU sind. Konkret geht es um die Reduzierung von 250 Stellen, also jede 8. Stelle und das fast ausschließlich in der Lehre (davon 34 Professuren und damit 34 Lehrbereiche oder ganze Fächer, die nicht mehr vorhanden sein werden) sowie um den absichtlich herbeigeführten Abbau von mindestens 3000 Studienplätzen.

Besonders betroffen sind dabei die Kleinen Fächer – am Orientalischen Institut sollen 3 Lehrstühle und somit komplette Fachrichtungen mit ihren Studienprogrammen wegfallen, am Institut für Altertumswissenschaften 2. Vom finanziell gestützten Ausbau, Weiterentwicklung, Erweiterung, Investitionen – weder in bestimmten Fachbereichen, auch nicht in den sogenannten „großen“ Fächern – ist die Rede, wobei Profilierung/Profilbildung/Profilschärfung ja genau das bedeuten würde.

Dabei beruft sich das Rektorat auf die Empfehlungen des Wissenschaftsrates gegenüber der MLU vom Juli 2013, in dem sich Profilierung (wiederum in verschiedenen Zusammensetzungen) auch mehrfach findet (8x) – entsprechende Passagen sind im Konzept des Rektorats zitiert wie folgt:

(1) Die nötige Profilierungsstrategie muss auch eine mit Augenmaß betriebene Verdichtung des Fächerspektrums beinhalten […].

(2) Eine umfassende Profilierungsstrategie muss alle vertretenen Fächergruppen und deren interdisziplinäre Vernetzungspotenziale berücksichtigen. Auch angesichts der Vielfalt des disziplinären Spektrums kann es hierbei weniger um die Profilierung der Universität als Gesamtinstitution, sondern vielmehr der einzelnen Fächergruppen gehen.

(3) Die Offensive zur Förderung von Netzwerken wissenschaftlicher Exzellenz (Landesexzellenzoffensive) hat sich als in hohem Maße zweckdienlich zur Stärkung und Profilierung ausgewählter Forschungsbereiche der Natur- und Geisteswissenschaften erwiesen.

(4) Der Wissenschaftsrat begrüßt, dass die Kleinen Fächern im Selbstverständnis der Universität eine wichtige Rolle spielen. Die einzelnen Fächer in ihrer inhaltlich-methodischen Kontextualisierung dagegen hat die Universität bislang kaum zum Gegenstand ihrer Profilierungsbemühungen gemacht.

(5) Fächervielfalt per se ist aus Sicht des Wissenschaftsrates kein sinnvolles Profilierungsmerkmal für eine Universität. Der Wissenschaftsrat empfiehlt eine Konzentration des Portfolios an Kleinen Fächern im Zusammenhang mit einer weiteren Profilierung der Geisteswissenschaften und in enger Absprache mit den Partneruniversitäten im Hochschulverbund Halle-Jena-Leipzig.

(6) Der Wissenschaftsrat empfiehlt, die im Rahmen der Profilierung nötige Fokussierung und Ressourcenbündelung auf organisatorischer Ebene mit einer Teilreform der Fakultätsstruktur zu unterlegen.

In den Empfehlungen des Wissenschaftsrates kommt Profilierung somit in Kontexten vor, in denen es um eine inhaltliche Weiterentwicklung der Fächer hin zu Schwerpunkten im Fach sowie interdisziplinärer Vernetzung zur Bildung von Schwerpunkten geht (1)-(3) oder auf organisatorischer Ebene bei der institutionellen Organisation von Fächern oder Fachgruppen (3) und (6). Die Abschaffung von Fächern ist im Text nicht erwähnt.

Umgang mit den sog. „Kleinen Fächern“

Einen besonderen Aspekt bilden dabei die Kleinen Fächer, die vom Wissenschaftsrat offenbar als profilbildend für die MLU angesehen werden, wobei der Universität kritisch an die Hand gegeben wird, diese im Sinne von (1)-(3) stärker zu fördern, zumindest stärker im Profil/ Alleinstellungsmerkmal sichtbar zu machen (4), jedenfalls ist auch hier von Streichen weder implizit noch explizit die Rede. Auch der Universitätsverbund (5) dient nicht als Argument, dass (bestimmte) Kleine Fächer an der MLU obsolet wären, weil sie an anderen Universitäten vertreten sind, sondern es wird lediglich eine Absprache dringend empfohlen, was man durchaus auch (in Zusammenhang mit (4)) als Absprache von unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen verstehen kann.

Nimmt man die an der MLU vertretenen Kleinen Fächer, dann konzentrieren sie sich im Wesentlichen auf zwei Institute, das Orientalische Institut und das Institut für Altertumswissenschaften. Beide Institute weisen zum einen in der Lehre über Modulimport- und Modulexport vernetzte Studiengänge oder interdisziplinäre Verbundstudiengänge auf; deren Ausbau und Weiterentwicklung sind im fortgeschrittenen Planungsstadium befinden bzw. wurde ihre Implementierung durch die aktuelle Debatte verhindert. Darüber hinaus stellen die Fächer Exportmodule für geistes-, sozial- und sprachwissenschaftliche Nachbardisziplinen bis in die Lehrerbildung bereit und sind damit über die Grenzen der Kleinen Fächer vernetzt sowie hinsichtlich der Forschung in den Schwerpunkt „Gesellschaft und Kulturen in Bewegung“ integriert.

Zum anderen existieren auch keine Dopplungen, wobei der Fokus im Vergleich zu Leipzig liegen sollte, denn nur in der räumlichen Nähe ist es möglich, dass Studierende komplementäre Angebote auch wahrnehmen können (Leipzig hat bspw. die Altertumswissenschaften im Hinblick auf Halle gekürzt, eine Vorderasiatische/Orientarchäologie und der Christliche Orient sind ebenso wenig vertreten wie eine Historische und Vergleichende Sprachwissenschaft). Darüber hinaus findet sich auch in den nominell an beiden Universitäten vorkommenden Lehrstühlen beider Institute die unter (5) geforderte Komplementarität in der Schwerpunktsetzung durch Absprachen und eine entsprechende Berufungspolitik. N.B. funktioniert ein Verbund nur, wenn jede Seite ihren (komplementären) Verpflichtungen auch nachkommt.

Die von den Kleinen Fächern nach den Empfehlungen des Wissenschaftsrates zu erfüllenden Punkte (1)-(3) sowie (5) und auf organisatorischer Ebene – durch eine Neustrukturierung des Orientalischen Instituts im letzten Jahrzehnt – (6) können somit als erfolgreich umgesetzt gelten.

Lediglich in (4), dass die Kleinen Fächer sichtbar zum Profil in der Eigen- und Fremdwahrnehmung der MLU eine Rolle spielen sollten, liegt ein Manko, das die Universität nach wie vor zu beheben hat, und das ganz sicher nicht durch Wegkürzen oder Reduzieren und damit Unsichtbarmachen der Kleinen Fächer, wodurch die MLU in ganzen Wissenschaftsbereichen (und davon inhaltlich profitierenden Nachbardisziplinen) von der akademischen Landkarte im Hinblick auf Wissensgenerierung und Wissenstransfer verschwinden würde. Selbst das Grobkonzept des Rektorats muss hierzu feststellen: „In den Geistes- und Sozialwissenschaften sind in Bezug auf die Drittmittelstärke u.a. die Ethnologie und die Orientwissenschaften herauszuheben“.

Führt „MLU 2030“ die Stellungnahmen zum Thema von 2013 und 2014 fort?

Damit folgt der im Entwurf vorgelegte Text „MLU 2030“ nicht nur nicht den Empfehlungen der Stellungnahme des Wissenschaftsrats von 2013, sondern leistet auch nicht die im Titel angekündigte Fortschreibung und Aktualisierung des nicht Hochschulentwicklungsplanes (HEP) von 2014. Bezogen auf die Fächer des Instituts für Altertumswissenschaften und des Orientalischen Instituts macht der Entwurf unverhältnismäßig einschneidende Kürzungsvorschläge, die der heute unverkennbaren globalen Bedeutung des Indopazifischen Raums in keiner Weise Rechnung tragen. Außerdem wird die Rolle der Fächer Indologie/Südasienkunde und Japanologie als strategische Anknüpfungspunkte für die regionale, nationale und internationale Konnektivität der Universität Halle mit diesem Raum und mit der einschlägigen Forschung über diesen Raum nicht erkannt. 

Die Auswirkungen des Grobkonzeptes zur Fortschreibung und Aktualisierung des Hochschulentwicklungsplanes der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 2014

– eine studentische Perspektive auf die Naturwissenschaftliche Fakultät I –

Seit der Haushaltsdebatte des Jahres 2021, spätestens allerdings seit Vorlage eines Planes zur „Profilschärfung und Haushaltskonsolidierung“ durch das Rektorat im Mai 2021, befindet sich unsere gemeinsame Universität in einer umfassenden Kürzungsdiskussion. Die Universität sieht sich mit einer massiven Unterfinanzierung konfrontiert. Diese fußt in diversen Entwicklungen der letzten Jahre, ist jedoch maßgeblich zurückzuführen auf die Hochschulstrukturplanung des Landes Sachsen-Anhalt 2014 auf Basis eines Gutachtens des Wissenschaftsrates der Bundesrepublik zur Weiterentwicklung der Hochschullandschaft in Sachsen-Anhalt im Jahre 2013. Obwohl sich im Anschluss zügig herausstellte, dass die Hochschulstrukturplanung in dieser Form nicht umsetzbar war, fußen die Mittel des Landes zur Grundfinanzierung der Hochschulen– auch nach Schluss des Bernburger Friedens – weiter auf diesen Plänen. Die MLU sollte schrumpfen – und soll es auch weiterhin. Nur wie und wo? Das aktuelle Grobkonzept des Rektorates versucht zu antworten.

Auch wenn die Hochschulstrukturplanung des Landes insgesamt kritikabel ist – unter anderem mit Blick auf die zugrundeliegenden Erwartungen an die Entwicklung der Landesfinanzen und Demografie als auch die Schwerpunktsetzung bzgl. des Angebotes bestimmter Studiengänge im gesamtgesellschaftlichen Kontext, so erscheint ein Abgleich der Erwartungen des Geld- und Gesetzgebers mit den aktuellen Vorschlägen des Rektorates mindestens interessant bis nützlich. Was hat die Naturwissenschaftliche Fakultät also bisher vom Grobkonzept zu erwarten?

Zuerst wird jeweils festgestellt, dass die drei Institute der Biochemie/Biotechnologie, Biologie und Pharmazie generell eher drittmittelstark und interdisziplinär in verschiedenen Forschungsverbünden organisiert – im wissenschaftlichen Kontext also „erfolgreich“ – sind. Im Anschluss wird allerdings jeweils angemahnt, dass „Fokussierungen“ der Zusammenarbeit und Strukturen innerhalb als auch außerhalb der Universität stattzufinden hätten, ergo die Kürzung von vier Professuren (2 Pharmazie, 1 Biochemie/Biotechnologie, 1 Biologie) notwendig sei. Diese Schlussfolgerung ist aus der vorhergehenden Zustandsanalyse jedoch weder logisch konsistent noch nachvollziehbar. Freilich müssen diese vorgeschlagenen Kürzungen zwar im Gesamtzusammenhang der Haushaltslage der Universität gesehen werden, trotzdem drängt sich hier der Eindruck auf, dass es sich lediglich um einen „gerechten Anteil“ der Fakultät an den gesamtuniversitären Maßnahmen handeln soll – also Kürzung an allen Fachbereichen mit „dem Rasenmäher“.

Die Auswirkungen auf die Forschung an der Naturwissenschaftlichen Fakultät I wären schwerwiegend. Selbstverständlich bedeutet der Wegfall von vier Professuren und der damit verbundenen Mitarbeiterstellen einen unfassbaren Verlust einerseits von Forschungsleistung, andererseits aber auch an Wissen, Möglichkeiten und Ausstattung für den gesamten Standort. Es stellt sich die Frage, wie hier in Zukunft erfolgreich große Drittmittelanträge/Verbundprojekte beispielsweise auf Förderung von Sonderforschungsbereichen erfolgreich sein sollen, wenn bereits in jüngerer Vergangenheit entsprechende Anträge innerhalb der Universität mit Verweis auf die strukturellen Schwächen des Standortes nicht erfolgreich waren. Hier findet man also in der Analyse aufstrebende Bereiche, ist jedoch der Auffassung, gerade deshalb hier das Messer anlegen zu müssen. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass man mit den indirekten Vorschlägen offensichtlich gerade auf jene Professuren zu blicken scheint, die in kürzerer Zeit neubesetzt werden müssten. Egal scheint es, dass lediglich der gemeinsame Namensanteil „biotechnologisch“ in der Realität lange nicht bedeutet, dass deshalb auch die Forschung ähnlich oder reich an Überschneidungen ist. Gerade in der Strukturbiologie entsteht mit den beiden „ZIK HALOmem“-Juniorprofessuren ein neuer Schwerpunkt, dem durch Entzug der tragenden physikalischen Biotechnologie der Boden entzogen würde. Gleichsam ist ein biochemischer Standort inklusive entsprechender Studiengänge ohne Virologie/Zellbiologie kaum denkbar, entfernte man die mikrobielle Biotechnologie.

Besonders folgenreich werden die Kürzungen allerdings auch für die Lehre an der Fakultät sein. Einerseits gibt es innerhalb der Pharmazie mit dem Staatsexamen Pharmazie einen Studiengang, dessen Auslastung zwar hoch ist, der jedoch trotzdem nicht genügend ausgebildete Apotheker für die Versorgung des Landes Sachsen-Anhalt zur Verfügung zu stellen vermag. Es stellt sich durchaus die Frage, wie hier folgenlos „nicht in die Staatsexamenslehre eingebundene Professuren“ isoliert und gestrichen werden sollen. Eigentlich ist doch ein Aufwuchs vonnöten. Blickt man andererseits in die Biochemie/Biotechnologie und die Biologie, so findet man hier hoch komplexe Studiengänge mit enormen, betreuungsintensiven Praxisanteilen. Während die Bachelorstudiengänge stark strukturiert sind, bieten die Masterstudiengänge ein hoch diversifiziertes Modulspektrum. Diese Vielfalt ist eine große Stärke des Standortes und Grund für einen großen Teil der Studierenden, ihr (fortführendes) Studium in Halle durchzuführen. Wie der durch den massiven Wegfall von Semesterwochenstunden entstehende Schaden an dem Lehrangebot eingegrenzt werden soll, bleibt unklar. Klar ist hingegen, dass die in anderen Bereichen der Universität offenbar sehr beliebten Lehrbeauftragten für besondere Aufgaben (LfbAs) in der Naturwissenschaftlichen Fakultät I keine Zukunft haben. Denn wer derart exzellent ist, dass er gleich drei oder mehr unterschiedliche Disziplinen beherrscht, der wird wohl eher eine akademische Fortbildung oder Professur anderswo bevorzugen, als dass er sich langfristig ausschließlich der Lehre an einer Fakultät widmet. Noch keine Rede war weiterhin von dem massiven Wegfall an wissenschaftlichen Profilierungsstellen – also Doktoranden- und Postdocstellen. Ein großer Teil der Studienabsolventen ist auf diese Stellen angewiesen! Besonders in den Lebenswissenschaften ist in vielen Bereichen mindestens eine Promotion Voraussetzung. Auch wenn gegenwärtig diverse Graduiertenkollegs an der Fakultät gefördert werden, so kann doch nicht langfristig außer Acht gelassen werden, dass es auch universitärer Planstellen bedarf.

Sowohl das Gutachten des Wissenschaftsrates zur Entwicklung des Hochschulsystems des Landes Sachsen-Anhalt als auch die darauf aufsetzende Hochschulstrukturplanung der Landesregierung attestieren den Strukturen und Mechanismen der biologischen Informationsverarbeitung/Biowissenschaften inklusive der (Nutz-)Pflanzenforschung hervorragende Ergebnisse und identifizieren sie als einen zukunftsträchtigen Schwerpunkt der Universität. Die diversen Bemühungen zur proaktiven Weiterentwicklung der Schwerpunkte und der Studienangebote werden lobend hervorgehoben. Zwar werden auch strukturelle Veränderungen der Universität angemahnt, diese Hinweise bezogen sich allerdings nicht auf Perspektiven für Kürzungen, sondern eher auf Potenziale engerer Kooperation. Folgerichtig spiegelte auch das erste Konzept des Rektorates von Mai 2021 ebendieses Bild wider und sah keine Kürzungen innerhalb der Naturwissenschaftlichen Fakultät I vor – stattdessen mahnte das Konzept lediglich eine Zusammenlegung mit dem Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften der aktuellen Naturwissenschaftlichen Fakultät III und eine engere Vernetzung mit der molekularen Medizin an. Völlig unverständlich bleibt daher, weshalb nun in dem vorliegenden Konzept eben doch vier Professuren gestrichen werden sollen.

In der Summe kann insbesondere den Vertreterinnen und Vertretern der Naturwissenschaftlichen Fakultät I aber auch dem Senat gesamt nicht empfohlen werden, den Vorschlägen des Rektorates bezüglich der Kürzungen an der Naturwissenschaftlichen Fakultät I im Rahmen des vorgelegten Grobkonzeptes zu folgen. Sicherlich handelt es sich hier um ein Kürzungskonzept – eine echte Vision für das Jahr 2030 lässt sich darauf allerdings nicht ablesen.

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